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Große Pläne trotz Pandemie in Pakistan

Und plötzlich ist alles anders. Lange Zeit kann Adeel mit seinem Lohn als Arbeiter in einer Ziegelbrennerei für sich, die beiden Söhne Chanda und Vinod und seine Frau sorgen. Gesundheitliche Probleme und die Corona-Pandemie haben für die Familie aus der pakistanischen Provinz Punjab vieles verändert - und Mutter Roopa eine berufliche Perspektive eröffnet.
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Frauen-Selbsthilfegruppe in Pakistan (Foto: Kindernothilfepartner)
Die Selbsthilfegruppe ist eine Chance in eine bessere Zukunft. (Foto: Kindernothilfepartner)
Frauen-Selbsthilfegruppe in Pakistan (Foto: Kindernothilfepartner)
Die Selbsthilfegruppe ist eine Chance in eine bessere Zukunft. (Foto: Kindernothilfepartner)
Roopas Familie muss sich neu erfinden


Die Arbeit und fehlende Schutzmaßnahmen in der Ziegelbrennerei haben Spuren hinterlassen. In Adeels Lungen und Roopas Gedankenwelt. Ihr Mann kann nicht mehr jeden Tag arbeiten gehen, was das Auskommen der Familie gefährdet. Ein Zustand, den Roopa nicht ohne Weiteres akzeptieren kann und will. Also wird sie aktiv.

Seit kurzem ist Roopa Mitglied einer Selbsthilfegruppe für Frauen der Society for Community Development. Für sie und die anderen Frauen geht es seitdem nicht mehr darum, kurzfristig auftretende Notsituationen zu überstehen, sondern die Situation ihrer Familie langfristig in die eigenen Hände zu nehmen. Von Kleinkrediten hat sie bis zu ihrem ersten Treffen der Selbsthilfegruppe noch nichts gehört. In einem von traditionellen Rollenbildern wie Pakistan geprägtem Land ist der Gedanke der arbeitenden Frau in vielen Köpfen schließlich noch nicht angekommen. In Roopas schon.

Von Sitten und Traditionen bestimmt

Im “Human Development Index” des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen belegt Pakistan Platz 147 von insgesamt 187 Nationen. Die Meinung von Frauen wird oft nicht gehört oder unterdrückt, nicht selten mit Gewalt. Zwangsverheiratungen und Ehrenmorde gibt es hier öfter als in vielen anderen Ländern. Alte Sitten und Traditionen werden weiterhin hochgehalten. Und das, obwohl die pakistanische Verfassung andere Zustände verspricht: Seit 1973 ist dort festgeschrieben, dass keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen gemacht werden dürfen. Der Alltag ist trotzdem ein anderer.

Roopa nutzt ihre Chance


Roopa will sich damit nicht abfinden. Kann sie auch gar nicht. Die Krankheit ihres Mannes bringt sie in eine Lage, in der sie - im wahrsten Sinne - etwas unternehmen muss. Bei einem Treffen der Selbsthilfegruppe kommt sie mit zwei Frauen ins Gespräch. Die drei erfahren, dass in einem Haus im Dorf seit einiger Zeit ein Ladenlokal leer steht. Sie erkennen die große Chance, die der kleine Laden für sie bietet. Mithilfe der Mitarbeiter*innen unseres Projektpartners erarbeiten die Frauen einen Wirtschaftsplan und nehmen einen Kredit auf. Das Geld soll dabei helfen, ein eigenes Geschäft für Lebensmittel und Hygieneartikel aufzubauen. Eine Idee, die nicht nur ihnen selbst, sondern auch den Bewohnern im Dorf noch helfen wird.


Banger Blick nach Indien und Erliegen des öffentlichen Lebens


Denn die Corona-Pandemie hat die Lebenssituation im Distrikt Gujranwala der Provinz Punjab massiv verändert. COVID-19 hat auch Pakistan getroffen. Der von der Regierung angeordnete mehr als fünfmonatige Lockdown führte zu erhöhter Arbeitslosigkeit, Nahrungsmangel und einer erheblichen Beeinträchtigung im sozialen Miteinander. Zwar sind die offiziell gemeldeten Infektionszahlen vergleichsweise niedrig, die Dunkelziffer dürfte jedoch ungleich höher liegen. Speziell in den Metropolen Karachi, Lahore oder Islamabad hat sich das Virus flächendeckend ausgebreitet. Ein staatliches Sozial- und Gesundheitswesen gibt es in Pakistan nicht.
Die Provinz Punjab liegt im Osten des Landes, die Grenze zu Indien ist nur gut 50 Kilometer entfernt. Genau dorthin blickt die pakistanische Bevölkerung mit großer Sorge: In Indien wütet Corona seit Monaten in deutlich dramatischeren Ausmaßen. Die pakistanische Regierung will seine Bevölkerung davor schützen und verhängt immer wieder strenge Auflagen. Vor dem muslimischen Eid-al-Fitr-Fest wurden die Maßnahmen noch einmal verschärft. Viele Geschäfte und Märkte wurden geschlossen und auch öffentliche Verkehrsmittel vorübergehend stillgelegt.
Nicht nur Roopa kann sich wegen der Ausgangsbeschränkungen nicht mehr zum Einkaufen in die etwa fünf Kilometer entfernte Stadt aufmachen. Das Dorf ist gefordert: Der Bedarf mit Nahrungsmitteln muss in unmittelbarer Nähe gedeckt werden. Die drei Frauen wollen ihren Teil dazu beitragen.

Vom Bankkonto zum Businessplan


Wie das funktionieren kann, lernen Roopa und ihre beiden Mitstreiterinnen in den Trainings der Selbsthilfegruppe. 44 Frauen in der Region haben so die Möglichkeit bekommen, kleine Unternehmen zu gründen. Die Trainings beginnen dort, wo die Frauen stehen: ganz am Anfang. Wer ein Unternehmen führen will, braucht vor einem detaillierten Businessplan erst einmal ein Bankkonto. Wer ein Bankkonto nutzen will, braucht Grundwissen rund um das Thema Finanzen. Das zu vermitteln, hat die Corona-Pandemie allerdings deutlich erschwert. Die Lebenssituation vieler Menschen hat sich seit COVID-19 spürbar verschlechtert, ihr Zugang zu Hilfsangeboten ist komplizierter geworden. Unzählige Familien sind in Armut geraten.

Zahl und Größe der Trainings unserer Partnerorganisation Society for Community Development (SCD) mussten deutlich verringert werden. Das Projektteam vor Ort war dennoch gefordert, schnell Mittel und Wege finden, um den betroffenen Frauen zu helfen. Unsere Partner und Projekte versuchen alles menschenmögliche, Kindern und ihren Familien schnellstmöglich und langfristig zu helfen.

Asmas Weg in die Selbstständigkeit


Zu ihnen gehört auch Asma aus dem Distrikt Jatoi Muzaffar Garh, 550 Kilometer entfernt von Gujranwala. Von Roopas Weg in die Selbstständigkeit hat Asma natürlich noch nie gehört. Und trotzdem ist sie ein gutes Vorbild für Asmas eigenen Weg. Denn auch sie will ihren Teil zu einem besseren Leben für sich und ihre Tochter Sany beitragen. Ihren Kleinkredit will Asma nutzen, um künftig eigenständig Stickarbeiten zu verkaufen. Die Arbeit vor Ort hilft der Familie nicht nur lang-, sondern auch kurzfristig. Asma hat in der Selbsthilfegruppe gelernt, wie eine ausgewogene Ernährung ihr Immunsystem und das ihrer Kinder stärken kann. Hatte ihnen die Pandemie zu Beginn sehr viel Angst gemacht, sind sie heute froh und blicken zuversichtlich in die Zukunft. „Wir haben viele Pläne für die Zukunft“, sagt Sany. Asma ergänzt: „Und wir lassen sie uns nicht nehmen.“


Ein Kleinkredit ist der Anfang, nicht das Ende


Große Pläne sind auch aus dem Kleinkredit der drei Frauen aus Gujranwala entstanden. Ihr Lebensmittel-Geschäft ist nach der Eröffnung innerhalb kurzer Zeit gut angelaufen. Mit ihrem Angebot helfen sich die Frauen nicht nur selbst, sondern vor allem ihren Mitmenschen im Dorf. Roopa und ihre Mitstreiterinnen planen bereits, ihr Angebot zu erweitern. Ihr Mann und die Kinder müssen sich jetzt keine Sorgen mehr um ihre finanzielle Zukunft machen.


Autor: Henrik Wittenborn
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