Kindernothilfe Österreich. Kindern Zukunft schenken.

Äthiopien: „Die Welt soll sehen, was hier passiert“

Äthiopien, das Land am Horn von Afrika, leidet unter der größten Dürre seit Jahrzehnten. 18 Millionen Menschen im Land sowie in den Grenzregionen von Somalia und Kenia leiden Hunger – so beziffern es die Vereinten Nationen und befürchten zum Jahresende eine humanitäre Katastrophe. Obendrein ist Äthiopien, eines der ärmsten Länder der Welt, seit zwei Jahren tief verstrickt in einen Bürgerkrieg. Die Kindernothilfe leistet über ihren Partner HUNDEE humanitäre Hilfe.

Ihr Gesicht ist hager, der Blick leer. Und wenn sie ihre Geschichte erzählt, dann so, als ob es um jemand anders gehen würde. Nicht um sie selbst. Als seien all ihre Gefühle aufgebraucht. 30 Jahre ist sie. Mutter von fünf Kindern. Eine Frau, die einmal ein relativ gutes Leben hatte, erfolgreich war. Vor der Dürre war das. Nun sagt sie: „Ich bin allein. Die Tiere sind tot. Die Kinder können nicht mehr zur Schule. Was erwartet mich noch?“ Den Hunger, den allgegenwärtigen, erwähnt sie nicht einmal.

Sule, die Frau aus dem Dorf Dikale, ist eine sogenannte Pastoralistin (Hirtin). 13,5 Prozent der äthiopischen Bevölkerung leben und arbeiten auf diese Weise. Sie haben einen festen Wohnsitz, wandern jedoch mit ihren kleinen Herden in den trockensten Regionen des Landes von Weide zu Weide. Immer dorthin, wo gerade etwas frisches Grün gewachsen ist. Das Dorf Dikale, in dem Sule lebt, ist eine afrikanische Lehmhütten-Siedlung in hügeliger Landschaft.

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Äthiopien: Sules Tiere sind alle tot, ihre Familie hungert (Quelle: Jakob Studnar)
Sules Tiere sind alle gestorben, ihre Familie hungert, die Kinder können nicht mehr zur Schule gehen (Foto: Jakob Studnar)
Äthiopien: Sules Tiere sind alle tot, ihre Familie hungert (Quelle: Jakob Studnar)
Sules Tiere sind alle gestorben, ihre Familie hungert, die Kinder können nicht mehr zur Schule gehen (Foto: Jakob Studnar)

Eine Portion Porridge am Tag

24 Rinder, vier Kamele, ein paar Ziegen und etwas Land besaß Sule Born Carfii einmal. Sie zog von Markt zu Markt, verkaufte ihre Waren und konnte sogar regelmäßig etwas Geld sparen. Ihre drei älteren Kinder schickte Sule, selbst Analphabetin, zur Schule. Dann kam die Dürre. Erst starb das Vieh, dann ließ sich der Boden nicht mehr kultivieren. Die Familie hungerte. Sules Mann entschied in all der Not, zum Militär zu gehen, um seine Familie versorgen zu können, und starb bald darauf in den Kämpfen des Nordens. Seine Frau und die Kinder sind seit Monaten völlig auf die Notversorgung durch die Regierung und Hilfsorganisationen wie die Kindernothilfe angewiesen. 45 Kilo Weizen für sechs Monate. Das reicht gerade einmal für eine Portion Porridge pro Tag. Morgens und abends gibt es nichts als Tee.

Es sind Geschichten wie diese, die man in der Borena-Zone im südlich gelegenen Oromia jeden Tag mehrfach hören kann. „Wir haben nichts!“, sagt auch Liban Ali, ein 50-jähriger Farmer mit Frau und zehn Kindern, und fügt hinzu: „Wenn wir nicht die Lebensmittel der Kindernothilfe bekommen hätten, wären diese beiden Kinder heute nicht hier. Sie wären tot.“ Was etwas pathetisch klingen mag, ist traurige Realität. Ablesbar an dem Dank, den die Kindernothilfe und ihre Partnerorganisation HUNDEE täglich erfahren.

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Liban Ali mit seiner Familie neben seinem Tukul (Quelle: Jakob Studnar)
Liban Ali und seine Familie (Foto: Jakob Studnar)
Liban Ali mit seiner Familie neben seinem Tukul (Quelle: Jakob Studnar)
Liban Ali und seine Familie (Foto: Jakob Studnar)

In einem Jahr starben 1,5 Millionen Rinder

Vor drei Jahren starteten sie gemeinsam ein auf fünf Jahre angelegtes Projekt, mit dem die Widerstandskraft der Menschen in dieser krisengeschüttelten Region gestärkt werden soll. Das Programm ist umfangreich und reicht von der Versorgung mit dürreresistentem Saatgut sowie Kraftfutter und Medizin für das Vieh über Wasserprojekte, den Aufbau genossenschaftlicher Strukturen bis hin zur Versorgung der Schulkinder mit Büchern und Stiften.

Im Frühjahr, als die Dürre problematisch wie nie zuvor wurde, legten die Kindernothilfe und HUNDEE noch ein akutes Nothilfeprogramm obendrauf. Mais, Bohnen, Öl und Wasser für die rund 700 Familien der Region, die gar nichts mehr hatten. Plus drei Monate lang ergänzende Nahrung für 500 unterernährte Kinder sowie konzentriertes Futter und Medizin für Tiere. Knapp 15.000 Menschen in der Borena-Zone profitieren davon. „Die Krise ist sehr ernst! 1,5 Millionen Rinder sind in nur einem Jahr gestorben. Die Menschen verlieren ihre Widerstandskraft und sind sehr beunruhigt “, sagt Hirko Belay, der Programm-Beauftragte von HUNDEE in Addis Abeba.

Und die Situation ist weiter akut. Auch die von Liban Ali und seiner Familie. In seiner Hütte sitzend, erzählt auch er von den guten Zeiten vor der Dürre. Von 18 Rindern, 20 Ziegen. Vom Auskommen, das die Familie hatte. Geblieben davon ist nichts. „Wir haben keine Milch für die Kinder. Nur Wasser. Ich kann nicht schlafen und frage Gott, was ich meinen Kindern zu essen geben kann!“, sagt seine Frau Dabo.

Bukure, ihre zweijährige Tochter, ist sichtbar unterernährt. Es geht ihr nicht gut. Doch die nährstoffreiche Erdnuss-Paste, die man Dabo Liban einen Tag zuvor im Gesundheitszentrum für das Kind gegeben hat, verweigert die Kleine. Dabo bleibt nun nur noch eines. Hoffen, dass sie für Bukure einen Platz im Hospital findet. Das Haar des Kindes werde schon ganz hell und dünn. Ali, ihr Mann, erzählt, wie sehr er auf die nächste Regenzeit in diesem Herbst hofft, darauf, dass sie nicht noch einmal ausfällt: „Wenn es regnen sollte, werde ich mich selbst vor den Pflug spannen, um das Land zu bestellen!“, sagt er, denn einen Ochsen haben sie ja lange schon nicht mehr.


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Liban Ali mit seinen Kindern im Tukul (Quelle: Jakob Studnar)
Liban Ali und seine Frau sind verzweifelt, weil sie den Kindern nur noch Wasser zu trinken geben können (Foto: Jakob Studnar)
Liban Ali mit seinen Kindern im Tukul (Quelle: Jakob Studnar)
Liban Ali und seine Frau sind verzweifelt, weil sie den Kindern nur noch Wasser zu trinken geben können (Foto: Jakob Studnar)

Je zwei Kälber für 180 Frauen

Unterwegs in Oromia, im Land der Dürre. Schon früh morgens wird es auf den Straßen und Sandpisten wuselig. Menschen, Tiere, Mopeds und Lastwagen teilen sich die Wege, weichen einander wie selbstverständlich aus. Ohne großes Gehupe. Kleine Kinder treiben die Ziegen-Herden an. Männer die Rinder. Frauen tragen Bündel Feuerholz oder Kanister mit Wasser. Das Leben ist hart in Oromia.

Doch es gibt Lichtblicke. Wie dieses Projekt von der Kindernothilfe und HUNDEE, das die Frauen der Region stärken, ihnen zum Start in ein eigenes Gewerbe verhelfen soll. Rund 180 arme Frauen der Borena-Region erhielten jeweils zwei weibliche Kälber, mit der Verpflichtung, den Nachwuchs, also das Erstgeborene, an eine andere Frau zu verschenken. Mit den Kälbern sollen die Frauen in die Lage versetzt werden, eine Herde aufzubauen, ihre Familie besser zu ernähren und Produkte auf dem Markt zu verkaufen.
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Frauen tragen Feuerholz (Quelle: Jakob Studnar)
Mädchen und Frauen sammeln Feuerholz (Foto: Jakob Studnar)
Frauen tragen Feuerholz (Quelle: Jakob Studnar)
Mädchen und Frauen sammeln Feuerholz (Foto: Jakob Studnar)

Die Chance ihres Lebens: Selbsthilfegruppen

Außerdem werden die Frauen Teil einer Selbsthilfegruppe, deren Mitglieder allesamt Kälber erhalten haben. Man trifft sich einmal pro Monat, erhält Medizin und Kraftfutter für die Tiere und außerdem Training in Landwirtschaft und Viehversorgung, ökonomisches Basis-Wissen.

Nicht zu unterschätzen ist ein anderer Effekt dieser Selbsthilfegruppen: Die Frauen beginnen, einen Teil ihres erwirtschafteten Geldes zu sparen. Sie sparen und entscheiden gemeinsam, was mit den Mitteln angeschafft werden soll. Neue Tiere zum Beispiel als Kapitalanlage. Oder aber sie nutzen ihre Rücklagen, um einer Frau ein Darlehen zu geben, das ihr bei einer Bank wohl kaum gewährt würde.


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Frauen einer äthiopischen Selbsthilfegruppe (Quelle: Jakob Studnar)
Die Selbsthilfegruppe gibt den Frauen neues Selbstbewusstsein (Foto: Jakob Studnar)
Frauen einer äthiopischen Selbsthilfegruppe (Quelle: Jakob Studnar)
Die Selbsthilfegruppe gibt den Frauen neues Selbstbewusstsein (Foto: Jakob Studnar)
Und das Projekt ist erfolgreich. Sehr sogar. Dazu muss man nur einmal an einem Meeting einer Selbsthilfegruppe teilnehmen und sich anhören, wie selbstbewusst die Frauen über ihr Business, ihre neue Lebenssituation und Perspektiven berichten. Für manche der Frauen ist dies die Chance ihres Lebens.

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Jilo Huka bekam 50 Kilo und zwei Kälber (Quelle: Jakob Studnar)
Jilo Huka hat 50 Kilo Weizen und zwei Kälber  bekommen (Foto: Jakob Studnar)
Jilo Huka bekam 50 Kilo und zwei Kälber (Quelle: Jakob Studnar)
Jilo Huka hat 50 Kilo Weizen und zwei Kälber  bekommen (Foto: Jakob Studnar)
Für Jilo Huka etwa. Die 50-Jährige, Mutter von fünf Kindern, kann ihr Glück kaum fassen. Eigenes Vieh hatte sie bis dahin nicht besessen. Als die Dürre kam, hatten sie nichts mehr zu essen. „Wir haben sehr gelitten. Die Hilfe der Regierung reichte kaum“, erzählt sie. 50 Kilo Weizen waren das für sechs Monate für die komplette Familie. Dafür reinigte Jilo Huka Straßen und Wälder, half dabei, Teiche wiederherzustellen.

Und nun, mit den zwei Kälbern, die schon ersten Nachwuchs haben, ist alles anders. Jilo Huka baute einen Stall für die Tiere, kümmert sich mit ihren Kindern gemeinsam um deren Versorgung. Vor allem aber hat sie Milch – für die eigenen Kinder und zum Verkauf auf dem Markt. Und sie schwärmt von den Treffen mit den anderen Frauen ihrer Selbsthilfegruppe, davon, wie man sich gegenseitig unterstütze. „Ich war arm“, sagt sie, „ich war ein Niemand. Jetzt werde ich wahrgenommen!“
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Ohne Hilfe von außen werden sie es kaum schaffen

Heute strömen die Frauen geradezu zur Zisterne nach Kululla Tika. Gelbe Kanister rechts und links in den Händen oder auf den Rücken eines Esels geschnallt. Die kleinsten ihrer Kinder im Schlepptau. Die Zisterne wurde schon vor acht Jahren von Hundee/Kindernothilfe gebaut, damit sie sich – wenn es regnet – mit Wasser füllen kann. Nun, wo sich auch die letzten kleinen Wasserstellen leeren, wird die Zisterne nach langer Zeit erstmals wieder geöffnet. Diszipliniert stellen die Frauen die Kanister in Reihen auf, lachen, freuen sich über die Möglichkeit, relativ bequem Wasser zu tanken für zwei Tage. Denn die nächste natürliche Wasserstelle ist auf einem Hügel am Horizont zu erkennen. 25 Kilometer von hier entfernt. Dafür sind sie normalerweise die ganze Nacht unterwegs. Auf dem Rückweg mit der Last von zwei vollen Kanistern.

„Die alten Menschen, die in Borena leben, erinnern sich nicht, jemals eine Dürre, eine Krise wie diese erlebt zu haben“, sagt denn auch Yaya Katu, der Krisenmanager der Verwaltung von Yabello. Yaya Katu, ein Mittdreißiger, weiß die Arbeit von HUNDEE und der Kindernothilfe zu schätzen. Er weiß, dass sie es ohne die Hilfe von außen kaum schaffen werden. Die Unterstützung durch die Regierung in Addis Abeba sei durch den Bürgerkrieg im Norden, in der Region Tigray, stark eingeschränkt. „Es fehlen sogar die Fahrzeuge, etwas Futter für das Vieh nach Oromia zu transportieren“, sagt er.

Hinzu komme, dass viele Menschen in die Borena-Region geflüchtet seien und nun hierblieben, weil die Lage in manchen Gegenden rundum noch schlechter sei. Katu: „Wir fühlen uns hilflos, alleingelassen. Wir tun, was wir können. Aber wir sehen, dass die Menschen sterben.“
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Es regnet nicht. Nicht gestern, nicht heute.

Ein paar Autominuten vom HUNDEE-Büro in Yabello entfernt liegt das Krankenhaus der Stadt. In den beiden Räumen, wo die unterernährten Kleinkinder mit ihren Eltern untergebracht sind, stehen die Betten dicht an dicht. 17 Kinder, die meisten nicht einmal ein Jahr alt, haben so viel Gewicht verloren, dass der Krankenhaus-Aufenthalt das Schlimmste verhindern soll. Ärmchen und Beine so dünn, dass der Anblick schmerzt.
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Mutter mit Kind im Krankenhaus in Yabello (Quelle: Jakob Studnar)
Eine Mutter mit ihrem Kind im Krankenhaus von Yabello (Foto: Jakob Studnar)
Mutter mit Kind im Krankenhaus in Yabello (Quelle: Jakob Studnar)
Eine Mutter mit ihrem Kind im Krankenhaus von Yabello (Foto: Jakob Studnar)
Sie kamen 60 Kilometer angereist, mit ihrem kleinen Mädchen auf dem Arm. Es ist ihr erstes Kind. 3,4 Kilogramm wiegt es jetzt mit drei Monaten, so viel wie bei seiner Geburt. Diarrhö, Husten - so wie die unterernährten Kleinen es meist bekommen, wenn sie schon stark geschwächt sind. Die Eltern hatten große Sorge. Nun sind sie seit fünf Tagen hier und schöpfen wieder Hoffnung. Das Antibiotikum, die besondere Milch - es geht bergauf. Endlich! „Wir behandeln alleine hier in Yabello 60 Kinder pro Monat. Dabei haben wir selbst häufig Probleme, die nötige Milch zu beschaffen. Und meist sind auch die Mütter unterernährt, sind zu schwach, ihre Kinder zu stillen,“ sagt Schwester Waaree Arbalet.
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Von Hayke Lanwert, freie Journalistin und Reporterin

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